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Dominik Brunner in der letzten Ausgabe der "gif im Fokus"

Plattformen analog Amazon & Co.

Warum sich die Immobilienwirtschaft nicht so einfach mit dem Onlinehandel vergleichen lässt!

 

– Dominik Brunner FRICS, Dr. Stephan Seilheimer MRICS –

Im Jahr 1995 wurde das erste Buch über Amazon verkauft. Im Jahr 2002 öffnete Jeff Bezos sein Unternehmen mit dem Amazon Marketplace auch für Dritte. Mittlerweile hat Amazon mit „Cloud Services“ oder „Bezahlsystem“ etliche neue Geschäftsfelder gegründet und ist hinsichtlich seiner Marktkapitalisierung nach Apple, Saudi Aramco und Microsoft das viertwertvollste Unternehmen der Welt. Es ist der Inbegriff für ein Plattformunternehmen, das mit einer digitalen Geschäftsidee den Handel radikal verändert hat. Wären da nicht die gesetzlichen Hürden, wie Schriftformerfordernis und Beurkundungspflicht: Welcher Asset Manager träumt nicht davon Kernprozesse wie den Abschluss eines Mietvertrags von der Vertragsverhandlung bis zur ersten Sollstellung digital abzubilden? Ist der komplette digitale Verkauf einer Immobilie umsetzbar?

 

Große Kapitalanlagegesellschaften bzw. deren Verwaltungsgesellschaften haben vor über zehn Jahren damit begonnen, eigene IT-Plattformen aufzubauen. Ziel war dabei die digitale Abbildung aller Prozesse der immobilienwirtschaftlichen Wertschöpfungskette in einem voll integrierten digitalen Ökosystem (siehe Abbildung unten). Die Digitalisierung einzelner Prozesse und Integration der verschiedenen Dienstleister bzw. Stakeholder führten zur Standardisierung,

Steigerung der Prozesseffizienz und der zunehmenden Austauschbarkeit einzelner Dienstleister innerhalb dieser Plattform. Externe Dienstleister wie Property Manager, Wertgutachter oder Finanzbuchhalter wurden über Zugangsberechtigungen länderübergreifend in die IT-Plattform integriert. Dadurch waren die großen Kapitalanlagegesellschaften für die Corona-Pandemie gut gewappnet. Mitarbeiter und Dienstleister konnten aus dem Homeoffice heraus Kernprozesse wie eine Indexmietanpassung, die Erstellung eines Wertgutachtens, die Zusammenstellung eines Eigentümer oder Bankenreportings bewältigen. Die Präsenz im Büro oder an der Immobilie war nur in Ausnahmefällen wie dem klassischen Ausdruck und Postversand oder der gutachterlichen Objektbegehung erforderlich.

 

Kapitalanlagegesellschaften mit kleineren Portfolien und IT-Budget steht die Möglichkeit offen ein teilintegriertes digitales Ökosystem aufzubauen und die Dienstleister mit standardisierten Schnittstellen anzubinden.

 

Digitale Ökosysteme bestehen in der Regel aus den beiden Kernsystemen Dokumentenmanagement und Datenmanagement, die per Schnittstelle miteinander verbunden sind. Wie in den Praxisvorträgen von BEOS, Catella und Credit Suisse beim virtuellen 3. gif-Datenforum am 19. Mai 2021 deutlich wurde, sind der Einsatz des gif-Datenmodells sowie der gif-Richtlinien zum Immobilien-Daten-Austausch „gif-IDA“ und des gif-Standards zum Aufbau eines Immobilien-Datenraums und Dokumentenmanagement-Systems „gif-DMS“ beim Aufbau eines solchen digitalen Ökosystems und dessen Schnittstellen eine große Unterstützung. 

DOKUMENTENMANAGEMENT

Im Bestandsdatenraum werden alle Dokumente einer Immobilie, der zugehörigen Gesellschaft oder des Fonds verwaltet. Hierzu zählen z. B. Mietverträge, Indexanpassungsschreiben, Wertgutachten Dienstleistungsverträge und Wartungsprotokolle einer Immobilie sowie Handelsregisterauszüge, Jahresabschlüsse oder das Wirtschaftsprüfertestat einer Gesellschaft.

Diese Dokumente werden gemäß Verantwortlichkeitsmatrix bzw. Regelung der jeweiligen Dienstleistungsverträge durch den Property Manager, Asset Manager, Fondsmanager oder Dritten

in das System hochgeladen und auch Dritten, wie Wirtschaftsprüfern oder Wertgutachtern bereitgestellt. 

 

Die Datenräume von großen komplexen Immobilien umfassen damit schnell mehrere 10.000 Dokumente. Moderne Dokumentenmanagement der Datenraum-Systeme arbeiten bei der Ersterfassung von Dokumenten mit Künstlicher Intelligenz (KI). Die KI ermöglicht die Erfassung der

jeweiligen Dokumentenklasse nach gif-DMS (z. B. eines Gewerbemietvertrags) und entsprechender Metadaten (z. B. des Mietvertragspartners). Das Berechtigungssystem stellt den

Nutzergruppen wie Fondsmanager (FUM), Asset Manager (AM), Wertgutachter oder Property Manager (PM) jeweils die für ihre Arbeit erforderlichen Dokumente der unterschiedlichen Dokumentenklassen bereit. Dokumente, die bestimmte Bearbeitungs- oder Freigabestufen durchlaufen, wie z. B. eine Entscheidungsvorlage oder ein Wertgutachten, werden über einen Dokumenten- Workflow bearbeitet.

 

Im Verkaufsfall einer Immobilie bzw. im Falle eines Share-Deals der zugehörigen Gesellschaft, werden die verkaufsrelevanten Dokumente selektiert, geprüft und in einem Verkaufsdatenraum

nach erfolgter Berechtigung dem Käufer bzw. dessen Due Diligence- Dienstleister bereitgestellt.

Das Q&A-Modul ermöglicht die Beantwortung von dokumentenbezogenen Fragen im Rahmen des Verkaufs zwischen potenziellem Käufer, Berater und Verkäufer.

DATENMANAGEMENT

ERP-System:

Kernsystem des Datenmanagements ist ein ERP-System. In der Regel ist es das führende System, wenn es um die Stammdatenverwaltung geht. Das ERP-System bildet die wesentlichen immobilienwirtschaftlichen Prozesse, wie die Debitoren-/Kreditoren-Buchhaltung inkl. der Nebenkostenabrechnung (Objektbuchhaltung) ab. Innerhalb der Software erstellte Dokumente,

wie z. B. das oben genannte Indexschreiben oder eine Nebenkostenabrechnung, werden inklusive

der entsprechenden Metadaten an das Dokumentenmanagement-System übergeben und dort abgelegt. Bei einem voll integrierten digitalen Ökosystem haben i. d. R. die Property und Asset Manager sowie entsprechende Fachabteilungen Zugriff auf das ERP-System. Soweit innerhalb des

Programmes auch alle gesellschaftsrelevanten Buchungen erfolgen und eine Konsolidierung stattfindet, kann das ERP-System auch die Gesellschaftsbuchhaltung übernehmen.

 

Asset Management/Portfolio Management-Software:

Die Asset-Management- und Portfolio- Management-Software ist direkt an das ERP-System angebunden. Wesentliche Aufgabe der Asset-Management- Software ist die Erstellung

von Reportings, z. B. für Eigentümer und Banken. Soweit ein bestimmtes Anlagevehikel in einen Dachfonds eingebunden ist, kann über die Asset-Management-Software auch das standardisierte Reporting an den Dachfonds, z. B. über das gif-Subset 5.8 erfolgen.

Asset- und Portfoliomanagement- Systeme ermöglichen unter entsprechenden Annahmen für Vermietung (Marktmiete, Index- und Mietentwicklung, Leerstandszeiten, Maklercourtagen,

Mieterausbaukosten etc.), Nebenkosten (Ist-Kosten, Kostenentwicklung, Umlagefähigkeit) und

Finanzierung eine Cash-Flow-Planung auf den unterschiedlichen Strukturebenen (Fonds, Portfolio, Immobilie) über einen Zeitraum von in der Regel zehn Jahren.

 

Ein häufig wiederkehrender Prozess stellt für die meisten KVGs die regelmäßige Immobilienbewertung gem. den jeweils geltenden Vorgaben, wie z. B. ImmowertV dar. Basierend

auf den für sie im Dokumentenmanagement- System freigehaltenen Unterlagen, wie Grundbuchauszüge, Mietverträge, Mieterliste, Übersichten der nicht umlagefähigen Kosten etc.,

erstellt der Gutachter im Bewertungsmodul sein Wertgutachten.

 

Größere Bau- und Umbauprojekte, die sich häufig über mehrere Geschäftsjahre erstrecken, werden über separate Budgets basierend auf der DIN 276 Kosten im Hochbau gesteuert. Architekten bzw. Projektsteuerer erhalten hier Zugriff auf das Bauprojekt-Management-Tool, was

die Hinterlegung separater Zahlungs- bzw. Mittelabflusspläne sowie die Kostenplanung und -verfolgung ermöglicht.

Anbindung von PropTechs

In den letzten Jahren haben sich eine Vielzahl von PropTechs entwickelt, die einzelne Elemente der Wertschöpfungskette abbilden oder durch Zusatzfunktionalitäten einen Mehrwert für einzelne Stakeholder bieten. Die Einsatzgebiete reichen von der direkten Mieterkommunikation über eine separate Mieter-App, das Sammeln und Konsolidieren von Verbrauchsdaten aus Smart Metern

bis zur Durchführung von virtuellen Besichtigungen im Rahmen der Mietvertragsanbahnung. Im Gegensatz zu dem oben beschriebenen Best-Practice-Ansatz zum Daten- und Dokumentenmanagement-System lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig feststellen, welche PropTechs für ein digitales Ökosystem wirklich essentiell sind. Insbesondere kann davon ausgegangen werden, dass etliche neue Softwarelösungen in bestehende IT-Systeme integriert

werden. Um eine redundante Datenhaltung zu vermeiden, sollten die PropTech-Lösungen an das bestehende ERP-System als führendes System angebunden werden.

Vollintegration versus Teilintegration

Grundsätzlich lässt sich der Aufbau digitaler immobilienwirtschaftlicher Ökosysteme in folgende zwei Ansätze unterscheiden (siehe Abbildung): Die großen Kapitalanlagegesellschaften

haben sich auf eine Vollintegration der immobilienwirtschaftliche Wertschöpfung konzentriert. Dies hat den Vorteil, dass die Datenhoheit komplett bei dem Eigentümer des digitalen Ökosystems liegt. Die Zulieferung von Daten über Schnittstellen ist auf ein Minimum reduziert. Wenn Daten von extern eingespielt werden (z. B. Indexreihen, Marktmieten), sind diese frei verfügbar. Falls der Vertrag mit einem Dienstleister wie z. B. einem Property Manager ausläuft oder beendet wird, muss lediglich ein neuer Dienstleister berechtigt werden. Der hohen Flexibilität bei der Dienstleisterauswahl stehen die hohen Kosten bei Errichtung und Unterhalt eines solchen Digitalen Ökosystems sowie der hohe Schulungsaufwand der Dienstleister mit dem unterschiedlichen Softwareprodukten gegenüber.

 

Unternehmen, die Aufwand und Kosten bei der Errichtung eines solchen vollintegrierten, digitalen Ökosystems nicht schultern wollen, haben teilintegrierte Ökosysteme aufgebaut. Der Ansatz im Dokumentenmanagement ist identisch zu den vollintegrierten Ökosystemen. Im Datenmanagement

wird auf eine Vollbuchhaltung verzichtet. Stattdessen liefern die Property Manager und Finanzbuchhalter mindestens monatlich Objekt-, Buchhaltungs- und Finanzdaten über Schnittstellen z. B. über die gif-Subsets 5.1, 5.2 und 5.3. Diese Daten werden dann innerhalb des ERP-Systems konsolidiert und per Schnittstelle wieder an die Asset-Management-Software

übergeben. Die Wertgutachter arbeiten auch hier nicht in dem System ihres Auftraggebers, sondern tauschen die Grunddaten der Bewertung und die Bewertungsergebnisse über die Subsets 5.6 und 5.7 aus. Die Daten zu Bauprojekten werden per gif-Subset 3.1 monatlich in die Asset-

Management-Software eingespielt. Wesentlicher Vorteil der teilintegrierten Lösung ist, dass die Dienstleister auf ihrer jeweiligen Unternehmenssoftware arbeiten können. Aufwendige Schulungen für die Dienstleister entfallen. Dem gegenüber steht ein hoher Aufwand beim erstmaligen

Aufbau der Schnittstellen sowie deren Unterhalt z. B. bei Software-Updates. Da in dem ERP-System nur ein Bruchteil der Daten des Property Managers ankommen, gestaltet sich die Anbindung von PropTechs als aufwendig.

Neue Geschäftsmodelle aufgrund digitaler Ökosysteme

Der hohen Aufwand beim Aufbau und dem Unterhalt digitaler Ökosysteme hat einige Unternehmen dazu gebracht ihre IT-Plattformen für Dritte zur Verfügung zu stellen bzw. eigenständige Geschäftsfelder zu entwickeln. Nach dem 2019 die Immobilien- Service KVG IntReal zusammen

mit verschiedenen Software-Anbietern das Joint Venture easol gegründet hat, vermeldete im Frühjahr 2021 auch Union Investment die Gründung der Union Investment Real Estate IT mit

ihrem Produkt „Run this Place“. Das wäre dann knapp 20 Jahre nach der Einführung von Amazon Marketplace. Die Vielzahl der immobilienwirtschaftlichen Prozesse, unterschiedliche Stakeholder aber auch regulative Anforderungen verdeutlichen, dass die Herausforderungen bei dem Aufbau

eines solchen digitalen Ökosystems weitaus größer sind, als bei dem Bestellvorgang eines Buches.

Literatur


gif (2021) Richtlinie zum Immobilien-Daten-Austausch „gif-IDA“, V3.0 (Erscheinung: Herbst 2021)

 

gif (2021) Standard zum Aufbau eines Immobilien-Datenraum und Dokumenten-Management-System „gif-DMS“, V2.2


gif (2021) gif-Datenfeldkatalog, www.zgif.org 


Seilheimer, S.; Sitzlach, B. (2014) Integrierte IT-Systeme als Erfolgsfaktor im Asset- und Property Management 14.7.2021)